Nachklang | experimenteller Literatur-Gottesgottesdienst in der Auferstehungskirche

Ein experimenteller Literatur-Gottesgottesdienst in der Auferstehungskirche

am 23. Mai 2023 um 18 Uhr

Die Auferstehungskirche in Buchforst gehörte lange zu den Predigtstätten, in der wir nicht zuletzt wegen ihrer spirituell anregenden Architektur gerne Gottesdienst gefeiert haben. Der Einfall der Sonnenstrahlen bildet im Innenraum morgens eine Lichtleiter, die den Blick und die Besinnung nach oben lenkt und andächtig macht. Dieser Kirchenraum wird in der früher gewohnten Form nicht mehr genutzt, weil sich die demographische Landschaft auch für die Kirchen verändert.

Wir suchen und finden aber neue Formen, weiterhin in diesen wunderbaren Raum unserer Gemeinde Menschen einzuladen, gemeinsam über zentrale Fragen, Anliegen und Antwortversuche, die unser Leben betreffen, nachzudenken. Warum nicht an einem Dienstag? Warum nicht um 18 Uhr? Eine alternative Form stellt der experimentelle Literatur-Gottesdienst in der Auferstehungskirche dar, den Christine Winterhoff und Hartmut Rösler vorbereitet haben, stimmlich unterstützt von Thies-Peter Engelhardt bei musikalischer Mitgestaltung von Ilona Popova.

Den Basistext hat Franz Kafka geschrieben, ein Wortakrobat, der fast vor 100 Jahren 1924 an Kehlkopftuberkulose gestorben ist. Er selbst hat den Ausbruch der Krankheit als Ausdruck der Lebensspannungen gedeutet, die er für sich nicht auflösen konnte und uns rätselhafte Texte und kafkaeske Atmosphären beschert haben. „Vor dem Gesetz“ stellt uns einen Mann vom Lande vor, der durch ein Tor zu dem Gesetz gelangen möchte, das sich dem Mann als heller Glanz darstellt. Ein Türhüter warnt den Mann vom Lande davor, den entscheidenden Schritte auf dem Weg zur Erfüllung seiner Sehnsucht zu machen. Warum geht man nicht los, wenn es für uns doch um’s Ganz geht?

Dieser Basistext „Vor dem Gesetzt“ ist über das Gutenberg-Projekt abrufbar:

https://www.projekt-gutenberg.org/kafka/erzaehlg/chap015.html

Wie stellt man die Weiche um – aus depressiver Selbstbeschränkung auf den Weg zu einem erfüllten Leben? In die Diskussion um diese existenziellen Fragen beziehen wir biblische Gleichnisse vom Reich Gottes ein, die uns Menschen präsentieren, die sich allen nebensächlichen Ballasts entledigen, um das eine Ziel ihres Lebens zu erreichen; die Perle oder den großen Schatz. Wir prüfen den Gedanken, dass der christliche Glaube die Widerstandkräfte stärkt und Rücksicht auf einengende Vorschriften und undurchschaubare Gesetze hinter sich zu lässt.

Unsere Organistin und Chorleiterin Frau Ilona Popova schuf während der Zwischenmeditationen und bei den Liedern eine musikalische Atmosphäre, die eine meditatives Textarbeit befeuerte.  Bei diesem Experiment fanden die Architektur des Raumes, die musikalische Tastenkunst und der literarische Esprit Franz Kafkas eine gemeinsame Bühne, auf der die Gottesdienstbesucher:innen nicht nur bedient oder unterhalten wurden, sondern aktiv Lebensfragen vertieft haben.

In kritischen und zugewandten Nachgesprächen an Stehtischen erdeten wir uns bei Käse- und Olivenhäppchen und nahmen über diesen Literaturgottesdienst hinaus Impulse mit, das eigene Leben zu befragen, wo es für uns ums Ganze geht. Es gibt so viele Fragen, über die gemeinsam nachzudenken dem Leben eine Tiefe geben kann, die uns als Gemeinde ausmacht.

Hartmut Rösler